Bleibende Eindrücke aus dem Gespräch mit der Holocaust-Überlebenden Frau Prof. Eveline Goodman-Thau
Von Andreas Schrott
Seit vielen Jahren ist es am Burghardt-Gymnasium Tradition, dass die Religions- und Ethikklassen der 12. Jahrgangsstufe im November, wenn der Pogrome gedacht wird, mit der Religionsphilosophin und Rabbinerin Eveline Goodman-Thau – per Videotelefonie oder persönlich – ins Gespräch kommen. Am 12. November war es wieder so weit: Von Jerusalem aus beantwortete sie lebhaft und eindringlich viele Fragen der Schülerinnen und Schüler, die sich im Atrium versammelt hatten und gut auf die Begegnung vorbereitet waren. Doch was können junge Erwachsene von einer Frau lernen, die ihre Urgroßmutter sein könnte (Jahrgang 1934)? Schwer in einem Wort zu fassen: menschliche Größe, Haltung, Verantwortungsbewusstsein?
Natürlich ging es in dem Gespräch auch um den Holocaust, den sie als Kind mit ihrer Familie in den Niederlanden, wohin sie geflohen waren, überlebte. In einer Zeit, in der einerseits das Wissen um die Verbrechen der Nationalsozialisten zunehmend schwindet und andererseits Antisemitismus weltweit – auch in Europa – wieder salonfähig zu werden scheint, wird das Wirken von Zeitzeuginnen wie Eveline Goodman-Thau umso bedeutender. Denn sie geht weit über das reine Erzählen hinaus: Sie strahlt mit ihrer Haltung in unsere Zeit hinein – eine Haltung, die kein Geschichtsbuch der Welt vermitteln kann. Sie ist geprägt von Hoffnung, Erinnerung und Verantwortung.
Erinnerung an das, was war und nie vergessen werden darf. Doch die Schülerinnen und Schüler begegnen keiner verbitterten Frau, die mahnend den Zeigefinger erhebt. Sie erleben einen Menschen, der ihnen Mut macht, Mensch zu bleiben – Verantwortung zu übernehmen für die Richtung, in die sich diese Welt bewegt. In Verantwortung, so betont sie, stecke das Wort antworten: Jeder Mensch spüre einen inneren Kompass von richtig und falsch. Diesem inneren Streben sollen wir folgen, in der Hoffnung, eine bessere Welt zu hinterlassen, als wir vorgefunden haben. Dafür brauche es einen „Zeitenbruch“ – eine bewusste Entscheidung, alte Gewohnheiten zu durchbrechen, um Veränderung möglich zu machen.
Diese Haltung beeindruckt und macht Hoffnung – auch im Blick auf den jahrzehntelangen Konflikt in Palästina. Dieses Thema brachten die Schülerinnen und Schüler selbst in das Gespräch ein. Goodman-Thau kritisiert, dass Israel es nicht geschafft habe, Frieden zu schaffen, ebenso aber auch, dass Juden als Teil des Landes und seiner Geschichte abgelehnt würden. Frieden, so erklärt sie, sei nichts Einfaches, denn er könne nicht unter Freunden geschlossen werden, sondern nur unter Feinden. Sie verweist auf die Rolle der Religionen, die seit Jahrhunderten das Bewusstsein vermitteln, den freien Willen des Menschen zum Guten zu nutzen. „Shalom, Salam, Friede! Jede Sprache und Religion kennt ein Wort für Frieden. Jede Religion ruft uns dazu auf. Und wir müssen darauf antworten. Das ist unsere Verantwortung für die Welt.“
Wenn ein Mensch mit dieser Biographie und diesen Erfahrungen eine solche Haltung entwickeln kann, dann lässt das hoffen, dass auch andere – gerade in Palästina und Israel – zu einer ähnlichen Haltung finden. In gegenseitiger Achtung, trotz oder gerade wegen der Vergangenheit, können sie sich auf ihre Verantwortung für einen Zeitenbruch besinnen, um Hoffnung für die Zukunft zu wecken – in Erinnerung an das Vergangene.

Beim Zeitzeugengespräch wurde die Holocaust-Überlebende Prof. Eveline Goodman-Thau digital aus Israel zugeschaltet.
(Foto: Heike Göhrig-Müller)