Stadtführung beleuchtete Buchen im Nationalsozialismus
Von Letizia Schäfer
Das Gedenkprojekt „buchen-gedenkt“ schickte zahlreiche Besucher auf eine historische Reise durch die Buchener Innenstadt während der Zeit des Nationalsozialismus. Die Stadtführung begann am 9. November um 16 Uhr unter der Leitung des Stadtarchivars Tobias-Jan Kohler auf dem Marktplatz und führte die Teilnehmer über mehrere bedeutende Orte bis zur Gedenkstätte für alle Opfer des Nationalsozialismus am Jakob-Mayer-Platz.
Der Stadtarchivar eröffnete die Führung mit einer Darstellung der politischen und institutionellen Entwicklungen in Buchen von 1933 bis 1945. Tobias-Jan Kohler beleuchtete, wie sich das Leben in der Stadt in diesen dunklen Jahren der Geschichte veränderte und welche Auswirkungen die nationalsozialistische Ideologie auf die Gemeinschaft hatte. 1930 sei Buchen mit seinen knapp 2.300 Einwohnern ländlich und bäuerlich geprägt gewesen. Die Konfession der Bürger war mehrheitlich katholisch, wodurch die Zentrumspartei im Vordergrund stand. Dies änderte sich nach der Machtergreifung Hitlers, da 1933 der vorherige Bürgermeister Dr. Fritz Schmitt, der als jüngster Bürgermeister Deutschlands galt, durch den regimetreuen Bürgermeister Otto Wilhelm Berberich abgesetzt wurde. Durch den politischen Wandel veränderten sich auch die Wichtigkeit der Kirche sowie der Schulunterricht und die Pressearbeit.
Ein zentrales Thema der Führung war das Vereinsleben in der NS-Zeit. Kohler erklärte, wie Vereine gleichgeschaltet wurden und welche Rolle sie im Propagandaapparat des Regimes spielten.
Besonders eindringlich war seine Schilderung der Auswirkungen des NS-Euthanasie-Programms auf die lokale Bevölkerung. Bis 1941 kamen 18 Menschen aus Buchen und der Umgebung und rund 70 000 Menschen insgesamt bei der Aktion „T4“ – dem Massenmord an Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen – ums Leben. Anhand eines Einzelschicksals wie dem von Hugo Basilius Menstell machte Kohler die menschlichen Tragödien greifbar.
Die Führung bot darüber hinaus einen tiefen Einblick in das Leben der jüdischen Gemeinde in Buchen. Kohler thematisierte die zunehmende Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bürger, insbesondere die Schicksale von Marie Wolf sowie Hedwig und Jakob Bär. Zwei Jahre nach dem traurigen Höhepunkt der Reichspogromnacht 1938 endete durch mehrere Deportationen das jüdische Leben in Buchen.
„Wir müssen nicht nur der Opfer gedenken, sondern auch die Verantwortung der Täter sichtbar machen“, sagte Kohler. So war auch die Beleuchtung der Täterrolle ein zentraler Aspekt der Führung. Die Reflexion über die Täter-Opfer-Dynamik regte bei den Teilnehmern zum Nachdenken an, die daraufhin zahlreiche Fragen stellten und eigene Erfahrungen schilderten.
Zum Abschluss der Führung sprach Kohler über die Auswirkungen des Krieges auf Buchen, das Kriegsende und die Anfänge der Erinnerungskultur in der damaligen Kleinstadt. Der Weg zur Gedenkstätte für alle Opfer des Nationalsozialismus bildete den emotionalen Höhepunkt der Veranstaltung, in der die Teilnehmer der Opfer gedachten.
Die Stadtführung „Buchen im Nationalsozialismus“ war ein Aufruf zur Verantwortung und zum Gedenken. Sie verdeutlichte, wie wichtig es ist, aus der Vergangenheit zu lernen und die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten. Die rege Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger zeigte das anhaltende Interesse an der Geschichte und die Bereitschaft, sich mit den dunklen Kapiteln der Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Der Beitrag wurde zuerst in der Rhein-Neckar-Zeitung Ausgabe Nr. 260 vom 11. November 2025 veröffentlicht.